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Amokfahrt in Blumenstand: Für das Opfer (doch) kein Arbeitsunfall

- Erschienen am 28.01.2013 - Presemitteilung 20130128

Der Sachverhalt: Gestritten wird um Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und um die Anerkennung eines Unfalls als „Arbeitsunfall“. Die in Neukölln wohnende Klägerin war Eigentümerin eines Blumenstandes. Während die damals 45 jährige Frau am 13. November 2009 vor dem Klinikum Neukölln Blumen verkaufte, raste ihr ehemaliger Ehemann mit einem gemieteten Kleintransporter in ihren Stand. Die Klägerin wurde lebensgefährlich verletzt, erlitt insbesondere vielfache Knochenbrüche. Wenige Stunden zuvor hatte der Täter bereits versucht, auch seine aktuelle Partnerin in einer Laubenkolonie zu erstechen. Nach seiner Verhaftung brachte sich der Täter im Untersuchungsgefängnis um.

Rechtlich gilt: Wer am Arbeitsplatz verletzt wird, steht grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Entscheidend für die Frage, ob auch ein Angriff (z. B. Überfall oder – wie hier – Amokfahrt) als Arbeitsunfall anzusehen ist, ist das Motiv des Angreifers. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung entfällt nur dann, wenn die Beweggründe dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzurechnen sind.

Die beklagte Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Es habe sich um einen rein privaten Konflikt gehandelt. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit der Klägerin und dem Vorfall habe nicht bestanden.

In erster Instanz gab das Sozialgericht Berlin der Klage statt (Urteil vom 22. Februar 2011, S 25 U 406/10, siehe die ausführliche Pressemitteilung vom 24. Februar 2011 unter http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/sg/presse/archiv/20110224.1030.332712.html. Entscheidend war hier die Wertung des Gerichts, dass es auch Anhaltspunkte für ein berufsbezogenes Motiv des Täters gegeben haben könnte.

Auf die Berufung der in erster Instanz unterlegenen Berufsgenossenschaft hob das Landessozialgericht nun die Entscheidung des Sozialgerichts auf und wies die Klage ab. Der 2. Senat (Besetzung mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern) bewertete den Sachverhalt anders als das Sozialgericht und rechnete die Beweggründe des Angreifers ausschließlich dem persönlichen Bereich der Beteiligten zu. Ausschlaggebend hierfür war eine intensive Auswertung der strafrechtlichen Ermittlungsergebnisse, darunter u.a. die Angaben des Angreifers gegenüber der Polizei. Insgesamt erschließe sich als Motiv des Angreifers vor allem ein massiver Schädigungswunsch gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau; irgendein betriebsbezogenes Motiv sei nicht ersichtlich.

Die Revision hiergegen ist nicht zugelassen. Die unterlegene Klägerseite kann insoweit aber noch die Zulassung der Revision bei dem Bundessozialgericht beantragen.

Urteil vom 29. November 2012, Aktenzeichen: L 2 U 71/11

Der Volltext der Entscheidung ist als Anlage zu dieser Pressemitteilung auf der Internetseite des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg http://www.lsg.berlin.brandenburg.de abrufbar.

Hintergrund: Der Fall steht – so einzigartig er auch vom Sachverhalt her sein mag – für ein typisches Problem unfallversicherungsrechtlicher Fälle: Ob ein Arbeitsunfall im Rechtssinne vorliegt, kann schwierig und kontrovers zu beurteilen sein. Von den rund 5.800 im Jahre 2012 neu bei dem Landessozialgericht eingegangenen Streitsachen gehörten etwa 4 Prozent (genau: 245 Verfahren) zur Sparte der gesetzlichen Unfallversicherung. Gleichzeitig entstammt im Jahr 2012 mehr als jede zweite neue Streitsache dem Bereich „Hartz IV“ (insgesamt 2.931 Verfahren). Vgl. zur Geschäftsbelastung der Sozialgerichte Brandenburgs und des Landessozialgerichts die Pressemitteilung vom 18. Januar 2013 unter http://www.lsg.berlin.brandenburg.de/sixcms/media.php/4417/pressemitteilung_1801_13.15922375.pdf

Für Rückfragen:

RiLSG Axel Hutschenreuther, Pressesprecher, RiLSG Sebastian Pfistner, stellv. Pressesprecher, Tel.: 0331/9818-3300, 4148, 4133 Mail: pressestelle@lsg.brandenburg.de