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Krankenhaus obsiegt im Streit mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss um die Geltung einer Mindestmenge für die Versorgung mit Kniegelenk-Totalendoprothesen

- Erschienen am 18.08.2011 - Pressemitteilung 20110818

Der 7. Senat des Landessozialgerichts in Potsdam hat auf mündliche Verhandlung in einem Urteil vom 17. August 2011 die Mindestmenge von 50 für Kniegelenk-Totalendoprothesen („künstliches Kniegelenk“) für unwirksam erklärt.

Mindestmengen für stationäre Krankenhausleistungen dienen nach der gesetzgeberischen Intention der Qualitätssicherung („Übung macht den Meister“). Es gibt sie z.B. im Bereich der Leber- und Nierentransplantation, aber auch der Knieprothetik. Wird ein Krankenhaus die auf ein Jahr bezogene Mindestmenge voraussichtlich nicht erreichen, darf es die Leistung nicht erbringen.

Mit Wirkung vom 1. Januar 2006 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) eine Mindestmenge von 50 pro Krankenhaus und pro Jahr für Kniegelenk-Totalendoprothesen eingeführt. Hiergegen hat eine Brandenburger Klinik im September 2008 mit der Begründung Klage erhoben, sie sei in der Lage, die Leistung durch qualifizierte Spezialisten zu erbringen und dürfe durch die Mindestmengenregelung nicht daran gehindert werden, diesen Eingriff anzubieten.

Der 7. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg gab der Klage mit folgender Begründung statt:

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einführung einer Mindestmenge in Bezug auf Knieprothesen lägen nicht vor.

Bedenken bestünden schon gegenüber dem konkreten Verfahrensablauf, denn der GBA habe zwar Ende 2004 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit einem Gutachten über einen Schwellenwert bei Mindestmengen für Kniegelenk-Totalendoprothesen beauftragt, die Mindestmenge dann aber im August 2005 schon verbindlich festgelegt, bevor das in besonderem Maße zu beachtende IQWiG-Gutachten vorlag (Dezember 2005).

Vor allem sei aber die vom Gesetz ausdrücklich geforderte „besondere“ Abhängigkeit der Leistungsqualität von der Leistungsmenge nicht hinreichend belegt. Der primäre Indikator „postoperative Beweglichkeit“ sei untauglich, weil das vorliegende statistische Material hier sogar darauf hindeute, dass – ab einer bestimmten Schwelle - das Behandlungsergebnis umso schlechter werde, je mehr Eingriffe pro Jahr erbracht würden. In Bezug auf den sekundären Indikator „Wundinfektion“ sei zwar feststellbar, dass das Risiko mit steigender Behandlungszahl falle, doch bestehe hier nur eine gewisse statistische Beziehung; die messbare Risikoreduktion sei so gering, dass von keinem besonderen Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Qualität die Rede sein könne. 

In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Senat betont, dass die Sache mit dem Urteil gegenüber sämtlichen Akteuren des Gesundheitswesens verbindlich entschieden sei und nicht etwa nur Auswirkungen für die klagende Brandenburger Klinik habe.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der 7. Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Sie werden demnächst als Anlage zu dieser Pressemitteilung auf der Internetseite des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg veröffentlicht werden.

Aktenzeichen: L 7 KA 77/08 KL

Info:

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA; Internet: www.g-ba.de) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Er bestimmt z.B. in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für etwa 70 Millionen Versicherte und legt damit fest, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der GKV übernommen werden. Außerdem erlässt der GBA Richtlinien und Beschlüsse zur Qualitätssicherung im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung und der Krankenhausbehandlung. § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V als Rechtsgrundlage der im Verfahren streitigen Mindestmenge lautet:

Der Gemeinsame Bundesausschuss fasst für zugelassene Krankenhäuser grundsätzlich einheitlich für alle Patienten auch Beschlüsse über

(2.) einen Katalog planbarer Leistungen nach den §§ 17 und 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist sowie Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus und Ausnahmetatbestände.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam (Internet: www.lsg.berlin.brandenburg.de) besteht als gemeinsames Berufungs- und Beschwerdegericht beider Bundesländer seit dem 1. Juli 2005. Nach § 29 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist es bundesweit ausschließlich und erstinstanzlich zuständig u.a. für Klagen gegen Entscheidungen und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Für Rückfragen:

RiLSG Sebastian Pfistner, stellv. Pressesprecher, Tel.: 0331-9818, App. 3300/4133/4148 Mail: pressestelle@lsg.brandenburg.de