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Keine „Scheinselbständigen“ im Bundesrat

- Erschienen am 18.07.2011 - Presemitteilung 20110718

Der 1. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hatte am vergangenen Freitag (15. Juli) darüber zu entscheiden, ob die vom Bundesrat seit Jahrzehnten angewandte Praxis rechtmäßig ist, mit der Führung von Besuchergruppen überwiegend Honorarkräfte auf selbständiger, nicht sozialversicherungspflichtiger Basis zu betrauen.

Die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vertrat die Auffassung, dass diese Personen abhängig und damit sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien. Sie forderte deshalb als Ergebnis einer Betriebsprüfung vom Bundesrat die Nachzahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung für die Jahre 2001 bis 2004 in Höhe von insgesamt rund 15.500 Euro. Das Sozialgericht Berlin hat die gegen den entsprechenden Bescheid erhobene Klage des Bundesrates in erster Instanz abgewiesen (Aktenzeichen S 36 KR 2382/07).

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat hingegen der Berufung des Bundesrates stattgegeben und das Urteil des Sozialgerichts sowie den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg aufgehoben.

Der 1. Senat hat sein Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet:

Es gibt eine ganze Reihe von Tätigkeiten, die sowohl von einem (sozialversicherungspflichtigen) Arbeitnehmer als auch auf (nicht sozialversicherungspflichtiger) selbstständiger Basis ausgeübt werden können. Zu nennen sind als Beispiele Lehrkräfte und Dozenten, Rechtsanwälte, Schauspieler, Fremden- und Museumsführer. Auch die Führungen durch den Bundesrat zählen hierzu; es ist grundsätzlich rechtlich beanstandungsfrei, den Einsatz von Honorarkräften im Rahmen des Besucherdienstes des Bundesrats als freiberufliche und selbständige Tätigkeit auszugestalten.

Die Honorarkräfte sind auch keine Scheinselbständigen, bei denen die gewählte Gestaltung und die tatsächlichen Verhältnisse auseinander fallen oder de facto Arbeitsverhältnisse umgangen werden sollen: 

Die im Bundesrat tätigen Führerinnen und Führer haben zur Überzeugung des Gerichts, die sich dieses aufgrund umfangreicher Ermittlungen gebildet hat, einen großen Freiraum, dessen Ausgestaltung vom Bundesrat auch nicht überwacht wird. Im maßgeblichen Kern ihrer Tätigkeit sind die Honorarkräfte deshalb weisungsunabhängig, auch wenn der äußere Rahmen der Führungen (Ort, Zeit, regelmäßige Dauer, Stationen innerhalb des Gebäudes und Pflichtinformationen) vorbestimmt ist. Diese Freiheit gibt den Ausschlag, obgleich es durchaus auch gewichtige Indizien für abhängige Beschäftigung gibt.

Ob es sozialpolitisch sinnvoll sei, dass das Verfassungsorgan Bundesrat nicht den Weg wähle, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen, hat der 1. Senat ausdrücklich offen gelassen; dies habe er nicht zu prüfen.

Der 1. Senat hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die Beteiligten können diese Nichtzulassung noch binnen eines Monats nach Zustellung des vollständig abgefassten Urteils mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angreifen.

Aktenzeichen: L 1 KR 206/09

Die schriftliche Urteilsfassung liegt noch nicht vor. Sie wird demnächst auf der Internetseite des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (www.lsg.berlin.brandenburg.de) als Anhang zu dieser Pressemitteilung abrufbar sein.

Info:

Nach § 7 Absatz 1 Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB IV) ist „Beschäftigung“ die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Für Rückfragen:

Axel Hutschenreuther, Tel.: 0331/9818-4148 Sebastian Pfistner, Tel.: 0331/9818-4133 Mail: pressestelle@lsg.brandenburg.de