Pressemitteilung zur Lage der Sozialgerichtsbarkeit im Lande Brandenburg
- Erschienen am - PresemitteilungBilanz 2015: Masterplan 2020 verpufft – Brandenburgs Sozialgerichte bleiben in problematischer Situation
Mit Pressemitteilung vom 3. Februar 2015
http://www.lsg.berlin.brandenburg.de/media_fast/4417/pressemitteilung030215.pdf
hatte der Vizepräsident des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, Herbert Oesterle, darauf hingewiesen, dass die vier Sozialgerichte Brandenburgs der verfassungsrechtlichen Vorgabe, zeitnahen Rechtsschutz zu gewährleisten, aufgrund des außergewöhnlich hohen Bestandes unerledigter Verfahren nach wie vor in vielen Fällen nicht gerecht werden. Diese Situation hat sich nach Ablauf des Jahres 2015 an zwei Gerichtsstandorten (Neuruppin und Frankfurt [Oder]) noch einmal deutlich verschärft. Der von Oesterle angeregte Masterplan 2020, auf dessen Grundlage eine Normalisierung der Arbeit der Sozialgerichte erreicht werden soll, wurde von den politischen Entscheidungsträgern nicht aufgegriffen. Der Masterplan 2020 vom 3. Februar 2015 sah vor:
„Erstens muss den Sozialgerichten ihre derzeitige Personalausstattung mit 76,5 Richterinnen und Richtern konstant erhalten bleiben; hierfür müssen Abgänge etwa durch Pensionierungen zeitnah durch Ersatz kompensiert werden. Nur so wird zu gewährleisten sein, dass die Anzahl der pro Jahr erledigten Verfahren in etwa der Anzahl der pro Jahr neu eingehenden Streitsachen entspricht. Gleichzeitig ist die Zahl der nichtrichterlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft auf einen Grad anzuheben, der sinnvolles Arbeiten gewährleistet; derzeit sind die Brandenburger Sozialgerichte im nichtrichterlichen Bereich noch um sieben Arbeitskräfte unterausgestattet.
Zweitens bedarf es für die nächsten fünf Jahre eines erneuten vorübergehenden Personalzuwachses, um den derzeitigen immensen Aktenberg effektiv abzubauen. Nötig sind vorübergehend 10 weitere Richterinnen und Richter nebst dazu gehörigem nichtrichterlichem Personal, um im Jahre 2020 einen Zustand erreicht zu haben, der mit ´Normalisierung´ beschrieben werden kann.“
Diese Vorstellungen, die die Vorgaben des aktuellen Brandenburger Koalitionsvertrages aufgriffen, haben sich nicht verwirklicht. Vielmehr ist am 1. Januar 2016 sogar ein Rückgang der Ist-Besetzung mit richterlichen Kräften um 1,6 gegenüber dem 1. Januar 2015 zu verzeichnen, was seine Ursache darin hat, dass die Abgänge des Jahres 2015 (z.B. Beginn von Elternzeit, Pensionierungen) durch Personalzugänge nicht vollständig kompensiert werden konnten. Erst recht scheint damit der vorübergehende Personalzuwachs um 10 weitere Richterinnen und Richter in unerreichbarer Ferne. Auch im Bereich des nichtrichterlichen Dienstes liegt die tatsächliche Personalausstattung bei einer Gesamtbetrachtung aller Sozialgerichte nach wie vor unter dem rechnerischen Soll.
Die angespannte Personalsituation, die sich mit immensem Arbeitsanfall paart, führt zu nicht hinnehmbaren Arbeitsbelastungen im richterlichen wie im nichtrichterlichen Bereich.
Der Vizepräsident des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg erneuert hiermit zusammen mit den Direktoren der vier Brandenburger Sozialgerichte seine Forderung an die zuständigen Regierungsstellen und an den Haushaltsgesetzgeber, die künftige Personalausstattung der Sozialgerichtsbarkeit am Masterplan 2020 zu orientieren.
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Zwar zeigt die Grafik zur Geschäftsentwicklung der vier Brandenburger Sozialgerichte insgesamt einige positive Tendenzen: Geschäftsentwicklung der Sozialgerichte Brandenburgs 2005 bis 2015 - Daten zum Ablauf des Geschäftsjahres - Gesamt: Klagen und Eilverfahren
Bei gleichzeitiger Betrachtung aller vier Sozialgerichte besteht eine Trendwende darin, dass erstmals seit dem Jahre 2005 an den Gerichten mehr erledigt wurde (22.119 Sachen) als binnen Jahresfrist neu einging (20.990 Sachen). Die Neueingänge waren gegenüber dem Jahre 2014 um 8,7 Prozent rückläufig. Die unerledigten Gesamtbestände waren am 31. Dezember 2015 um 3,2 Prozent geringer als am 31. Dezember 2014. Allerdings erfordert die derzeitige Situation einen differenzierten Blick auf die verschiedenen Gerichtsstandorte: In Cottbus und Potsdam ist es gelungen, die Verfahrensbestände gegenüber dem Vorjahr um 11,6 Prozent (Cottbus) bzw. 7,3 Prozent (Potsdam) abzubauen, weil die Eingangszahlen rückläufig waren und jeweils mehr Sachen erledigt werden konnten als neu eingingen. In Neuruppin und Frankfurt (Oder) liegt es genau umgekehrt: Dort gingen im Jahre 2015 jeweils deutlich mehr neue Streitsachen ein als erledigt werden konnten; der Berg der zum Jahresende unerledigten Streitsachen wuchs deutlich an (9.102 in Frankfurt [Oder] bzw. 7.036 in Neuruppin). An diesen beiden Standorten besteht ein sich verschärfendes Problem mit der Fülle sehr alter unerledigter Klagen: In Frankfurt (Oder) stammen 17,11 Prozent aller offenen Streitsachen aus dem Jahre 2012 oder früher, im Sozialgericht Neuruppin sind es 12,17 Prozent. Die Anzahl der Klagen, die bis 2012 erhoben wurden und noch unerledigt sind, summiert sich an den vier Gerichtsstandorten auf 3.768 Verfahren, was knapp elf Prozent aller offenen Verfahren entspricht. In erheblichem Umfange wird im Lande Brandenburg so rechtsstaatswidrig der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf Gewährung zeitnahen Rechtsschutzes gefährdet und in vielen Fällen auch verletzt. Im Anhang zu dieser Pressemitteilung finden Sie eine Tabelle mit detaillierten Zahlen zu den einzelnen Gerichtsstandorten.
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Der über die vergangenen Jahre entstandene große Berg unerledigter Verfahren, den die Gerichte vor sich herschieben und der mit langen Verfahrenslaufzeiten verbunden ist (im Durchschnitt 28,7 Monate bis zu einer Entscheidung durch Urteil) sowie die Überforderung des an den Gerichten tätigen Personals aller Berufsgruppen erfordern dringend eine Umsetzung des Masterplans 2020, der allein eine mittelfristige Normalisierung der Situation verspricht.
Info:
Herbert Oesterle, der im November 2013 zum Vizepräsidenten des Landessozialgerichts ernannt wurde, ist nach der Pensionierung der bisherigen Präsidentin des Landessozialgerichts verantwortlich für die Gerichtsleitung. Eine Neubesetzung der Präsidentenstelle ist nach über zweijähriger Vakanz immer noch nicht gesichert. Das Sozialgericht Berlin, für das das Landessozialgericht in Potsdam ebenfalls als Berufungs- und Beschwerdegericht fungiert, hat in einer Pressemitteilung vom 15. Januar 2016 gesondert über seine Situation berichtet
Der dort beschriebene Zuwachs an „Flüchtlingsfällen“ ist an den Brandenburger Sozialgerichten bislang nicht in nennenswertem Umfang zu verzeichnen.
Für Rückfragen: RiLSG Axel Hutschenreuther, Pressesprecher, RiLSG Sebastian Pfistner, stellv. Pressesprecher, Tel.: 0331 - 9818 – 3300 / 4148 Mail: pressestelle@lsg.brandenburg.de
Für Rückfragen mit Bezug zu den einzelnen Sozialgerichten:
SG Potsdam: moritz.broeder@sgp.brandenburg.de, 0331 - 27188 - 615 / 721
SG Neuruppin: PressestelleSGN@sgn.brandenburg.de, 03391 - 838346
SG Frankfurt/Oder: stefan.sarrach@sgf.brandenburg.de, 0335 - 5538 - 249
SG Cottbus: sebastian.clausnitzer@sgc.brandenburg.de, 0355 - 4991 - 3257