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Brandenburger Sozialgerichte nach 10 Jahren Hartz IV: Perspektive nur mit Masterplan 2020

- Erschienen am 03.02.2015 - Presemitteilung 20150203

Art. 52 Abs. 4 der Brandenburger Landesverfassung garantiert: „Jeder hat Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.“

Dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe, zeitnahen Rechtsschutz zu gewährleisten, werden die vier Sozialgerichte Brandenburgs aufgrund des außergewöhnlich hohen Bestandes unerledigter Verfahren nach wie vor in vielen Fällen nicht gerecht. Diese ernüchternde Bilanz zieht Herbert Oesterle, Vizepräsident des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, 10 Jahre nach Inkrafttreten des SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende, „Hartz IV“). Der Berg unerledigter Verfahren ist zum Ende des Jahres 2014 gegenüber dem Vorjahr erneut um 2 Prozent auf nunmehr 35.808 angewachsen. Gleichwohl gibt es inzwischen bei vorsichtiger Analyse etwas Licht am Horiziont für die Brandenburger Sozialgerichte und die Rechtsschutz suchenden Bürger: 

Die Anzahl der im Jahre 2014 neu eingegangenen Streitsachen liegt mit 22.991 um 4,7 Prozent unter den Eingangszahlen des Vorjahres. Damit schlägt nun auch in Brandenburg der bundesweit zu beobachtende Trend durch, dass die in Zusammenhang mit „Hartz IV“ zu beobachtende Klagewelle leicht nachlässt. Im Jahre 2014 machten Klagen und Eilanträge gegen Hartz IV-Bescheide aber immer noch 60 Prozent der Gesamteingänge an den Sozialgerichten aus.

Die Anzahl der Richterinnen und Richter an den Brandenburger Sozialgerichten hat mit nunmehr 76,5 (gegenüber noch 52,25 am 1. Januar 2010) einen Grad erreicht, der das rechnerische Soll erfüllt. Mit anderen Worten: Mit 76,5 Richterinnen und Richtern können nun pro Jahr in etwa so viele Verfahren erledigt werden wie neue Verfahren bei den Gerichten eingehen.

Sorge bereitet dagegen nach wie vor der über die vergangenen Jahre entstandene große Berg unerledigter Verfahren, den die Gerichte vor sich herschieben und der mit langen Verfahrenslaufzeiten verbunden ist. So benötigen die Sozialgerichte derzeit im Durchschnitt 28,4 Monate bis zu einer Entscheidung durch Urteil.

In Zusammenhang mit den genannten positiven Entwicklungen (sinkende Eingangszahlen, erreichter Zuwachs an richterlichem Personal) formuliert Herbert Oesterle hiermit seine Forderung nach einem

Masterplan 2020:

Ziel: Den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Brandenburg muss, wie in der Verfassung vorgesehen, zeitnah und effektiv in allen Bereichen des Sozialrechts Rechtsschutz gewährt werden. Hierfür sind die Sozialgerichte von ihrer dauerhaften Überlastung zu befreien und in einen Zustand zu versetzen, der flächendeckend sachgerechtes Arbeiten ermöglicht.

Um dies zu erreichen, ist zweierlei nötig:

Erstens muss den Sozialgerichten ihre derzeitige Personalausstattung mit 76,5 Richterinnen und Richtern konstant erhalten bleiben; hierfür müssen Abgänge etwa durch Pensionierungen zeitnah durch Ersatz kompensiert werden. Nur so wird zu gewährleisten sein, dass die Anzahl der pro Jahr erledigten Verfahren in etwa der Anzahl der pro Jahr neu eingehenden Streitsachen entspricht. Gleichzeitig ist die Zahl der nichtrichterlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft auf einen Grad anzuheben, der sinnvolles Arbeiten gewährleistet; derzeit sind die Brandenburger Sozialgerichte im nichtrichterlichen Bereich noch um sieben Arbeitskräfte unterausgestattet.

Zweitens bedarf es für die nächsten fünf Jahre eines erneuten vorübergehenden Personalzuwachses, um den derzeitigen immensen Aktenberg effektiv abzubauen. Nötig sind vorübergehend 10 weitere Richterinnen und Richter nebst dazu gehörigem nichtrichterlichem Personal, um im Jahre 2020 einen Zustand erreicht zu haben, der mit „Normalisierung“ beschrieben werden kann.

Die Sozialgerichtsbarkeit Brandenburgs setzt darauf, dass die Landesregierung die Vorgaben des Koalitionsvertrages umsetzt, in dem es heißt, „für einen effektiven und zeitnahen Rechtsschutz müssen den Gerichten die erforderlichen personellen und sachlichen Ressourcen zur Verfügung stehen“; „Die Verfahrenslaufzeiten an den Gerichten – insbesondere in der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit – sollen weiter verkürzt werden. Um dies sicherzustellen und um auf die künftigen demografischen Veränderungen im Personalkörper reagieren zu können, werden Einstellungskorridore eingerichtet.“

Greift der Masterplan 2020, wird im Januar 2020 die erfreuliche Botschaft der jährlich bilanzierenden Pressemitteilung lauten: „15 Jahre Hartz IV: Die Sozialgerichte Brandenburgs haben die Klagewelle bewältigt“.

Info:

Herbert Oesterle, der im November 2013 zum Vizepräsidenten des Landessozialgerichts ernannt wurde, ist nach der Pensionierung der bisherigen Präsidentin des Landessozialgerichts verantwortlich für die Gerichtsleitung. Eine Neubesetzung der Präsidentenstelle ist nach über einjähriger Vakanz immer noch nicht in Sicht.

In wenigen Wochen wird das Landessozialgericht als Obergericht der Länder Berlin und Brandenburg seine Arbeit des Jahres 2014 in Form einer Pressemitteilung bilanzieren und einige entschiedene Fälle vorstellen.

Das Landessozialgericht veröffentlicht zudem jährlich im Laufe des April einen Geschäftsbericht zum abgelaufenen Geschäftsjahr mit ausführlichen Statistiken und detaillierten Berichten aus allen Sparten der Rechtsprechung. Auf der Internetseite des Gerichts (http://www.lsg.berlin.brandenburg.de) sind derzeit die Geschäftsberichte bis einschließlich 2013 abrufbar. Auf der Internetseite sind ebenfalls diverse Pressemitteilungen zu verschiedenen wichtigen im Jahre 2014 abgeschlossenen Verfahren dokumentiert.

Das Sozialgericht Berlin, für das das Landessozialgericht in Potsdam ebenfalls als Berufungs- und Beschwerdegericht fungiert, hat in einer Pressekonferenz vom 14. Januar 2015 gesondert über seine Situation berichtet. Die bemerkenswerte Ansprache der Präsidentin des Sozialgerichts Berlin, Frau Sabine Schudoma, ist dokumentiert unter

http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/sg/presse/archiv/20150114.1400.400866.html.

Für Rückfragen: RiLSG Axel Hutschenreuther, Pressesprecher, RiLSG Sebastian Pfistner, stellv. Pressesprecher, Tel.: 0331 - 9818 - 3300 Mail: pressestelle@lsg.brandenburg.de

Für Rückfragen mit Bezug zu den einzelnen Sozialgerichten:

SG Potsdam: moritz.broeder@sgp.brandenburg.de, 0331 - 27188 - 615 / 710

SG Neuruppin: PressestelleSGN@sgn.brandenburg.de, 03391 - 838346

SG Frankfurt/Oder: stefan.sarrach@sgf.brandenburg.de, 0335 - 5538 - 249

SG Cottbus: sebastian.clausnitzer@sgc.brandenburg.de, 0355 - 4991 - 3257