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Sozialhilfe für Unionsbürger

- Erschienen am 20.04.2016 - Presemitteilung 20160420

Die beiden für Sozialhilferecht zuständigen Senate des Landessozialgerichts BerlinBrandenburg (15. und 23. Senat) haben am 13. April 2016 inhaltlich übereinstimmende Entscheidungen zur Gewährung von Sozialhilfeleistungen an Unionsbürger getroffen. Die Entscheidungen stehen in größerem Zusammenhang: Mit Urteilen vom 3. Dezember 2015 hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts die Tür für Sozialhilfeleistungen für Unionsbürger geöffnet; B 4 AS 44/15 R u.a., siehe Medieninformation vom 3. Dezember 2015:

http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=ps&Datum=2015-12&nr=14079&pos=3&anz=4

Dem schloss sich der 14. Senat des Bundessozialgerichts mit Urteilen vom 16. Dezember 2015 an; B 14 AS 18/14 R u.a., veröffentlicht unter:

http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=14220

In den entschiedenen Fällen geht es um Unionsbürger (u.a. aus Bulgarien, Rumänien und Griechenland stammend), denen Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) zu versagen waren, weil ihr Aufenthalt allein der Arbeitsuche diente (§ 7 Abs. 1 SGB II). Das Bundessozialgericht hat hier entschieden, dass zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zumindest seitens des kommunalen Sozialhilfeträgers Sozialhilfeleistungen im Ermessenswege zu erbringen seien (§ 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII). Diese Entscheidungen des Bundessozialgerichts trafen in der Öffentlichkeit auf zum Teil harsche Kritik. Mehrere erstinstanzliche Sozialgerichte sind den Entscheidungen des Bundessozialgerichts ausdrücklich entgegen getreten, so etwa das Sozialgericht Berlin in einem Urteil vom 11. Dezember 2015; S 149 AS 7191/13, siehe Pressemitteilung vom 16. Dezember 2015

http://www.berlin.de/gerichte/sozialgericht/presse/pressemitteilungen/2015/pressemitteilung.423640.php

oder das Sozialgericht Speyer in einem Urteil vom 29. März 2016; S 5 AS 493/14:

http://rsw.beck.de/aktuell/meldung/sg-speyer-verneint-anspruch-auf-sozialhilfe-fuer-erwerbsfaehige-unionsbuerger

Diese Kritik hält dem Bundessozialgericht entgegen, dass es sich über den Wortlaut des Gesetzes und über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetze, weil erwerbsfähige Personen dem Regelungsbereich des Sozialhilferechts gar nicht unterfielen. Potsdam, 20. April 2016 LSG Berlin-Brandenburg, Försterweg 2-6, 14482 Potsdam In zwei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hatten die beiden für Sozialhilfe zuständigen Senate des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg nun auf der Grundlage der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu entscheiden. Die Antragsteller in beiden Verfahren sind polnische Staatsangehörige, denen seitens des Jobcenters Leistungen nach dem SGB II verweigert wurden, weil sie sich lediglich zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhielten (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). In beiden Fällen haben die Senate den Sozialhilfeträger zur Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für zunächst drei Monate verpflichtet. Während dieser drei Monate habe der jeweilige Sozialhilfeträger die weiteren Umstände des Einzelfalles und insbesondere den jeweiligen Aufenthaltsstatus der Antragsteller aufzuklären, um eine fundierte Ermessensentscheidung über die Weiterbewilligung von Sozialhilfe treffen zu können. Damit sind der 15. und der 23. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg zwar der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht entgegen getreten, haben den Sozialhilfeträgern aber weitere Ermittlungen auferlegt, die im Einzelfall auch dazu führen können, dass am Ende das nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bestehende Ermessen zu Lasten der Betroffenen ausgeübt wird oder dass aufgrund eines verfestigten Aufenthaltsrechts doch das Jobcenter nach dem SGB II leistungspflichtig ist. Die Beschlüsse sind rechtskräftig.

15. Senat, Beschluss vom 13. April 2016, L 15 SO 53/16 B

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=184562

23. Senat, Beschluss vom 13. April 2016, L 23 SO 46/16 B

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=184665

Hinweis auf die Rechtslage:

§ 7 Abs. 1 SGB II

(1) 1 Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die (…) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). 2Ausgenommen sind 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. (…)

§ 23 SGB XII

(1) 1Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. (…) 3 Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. (…) (3) Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

Info: Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam besteht als gemeinsames Berufungs- und Beschwerdegericht beider Bundesländer seit dem 1. Juli 2005. Es ist zuständig für Angelegenheiten der Sozialversicherung (Rente, Pflege, Krankenversicherung, Unfallversicherung etc.), aber auch für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II („Hartz IV“) und der Sozialhilfe nach dem SGB XII. In Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes (wie in den hier vorgestellten Fällen) entscheidet es letztinstanzlich; in Klageverfahren ist unter bestimmten Voraussetzungen die Revision zum Bundessozialgericht statthaft.

Für Rückfragen: RiLSG Axel Hutschenreuther, Pressesprecher, RiLSG Sebastian Pfistner, stellv. Pressesprecher, Tel.: 0331/9818, App. 3300/4148/4133 Mail: pressestelle@lsg.brandenburg.de