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Gütliches Ende des Rechtsstreits der Familie Alimanovic

- Erschienen am 18.12.2018 - Presemitteilung 20181218

Der in Fachkreisen europaweit bekannt gewordene Fall der Familie Alimanovic nahm nach jahrelanger Prozessführung am 14. Dezember 2018 vor dem 28. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg ein weitestgehend gütliches Ende. Die Beteiligten haben das Verfahren durch einen Vergleich abgeschlossen. Für drei der vier Kläger hat das Jobcenter seine Verwaltungsentscheidungen aufgehoben. Ihnen verbleiben damit die ihnen bereits erbrachten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Kosten der Unterkunft auf Dauer. Streitgegenstand in Höhe von 1.257 Euro ist allein die Aufhebung der Leistungen für einen Monat gewesen. Die vierte Klägerin hat ihre Klage zurückgenommen. Zum Hintergrund: Die im Aufhebungsmonat alleinstehende Mutter, die die schwedische Staatsangehörigkeit besitzt, war mit ihren während eines vorangegangenen Aufenthalts in Deutschland geborenen minderjährigen Kindern im Jahr 2010 erneut von Schweden nach Berlin umgesiedelt, wo sie kurzfristig – für Zeiträume von weniger als einem Jahr – geringfügigen Beschäftigungen nachging. Ihr sich daran anschließendes ernsthaftes Bemühen um eine neue Arbeitsstelle blieb erfolglos. Zwei der drei Kinder besuchten im Aufhebungsmonat regelmäßig die Schule; jedoch nicht mehr die vierte Klägerin, die im Aufhebungsmonat das 18. Lebensjahr vollendete. Für die Monate von Dezember 2011 bis Mai 2012 erhielten die Kläger Potsdam, 18. Dezember 2018 LSG Berlin-Brandenburg, Försterweg 2-6, 14482 Potsdam ursprünglich Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch („Hartz IV“). Bei der Leistungsbewilligung ging das Jobcenter entsprechend einer vorangegangenen Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2010 (B 14 AS 23/10) zunächst davon aus, dass die Ausschlussregelung für arbeitsuchende Unionsbürger (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II alte Fassung) nicht anwendbar gewesen sei, weil sie bei den Klägern als schwedische Staatsangehörige durch das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) verdrängt worden sei. Unter Hinweis auf den von der Bundesrepublik im Dezember 2011 erklärten Vorbehalt zum EFA hob der Beklagte die Bewilligung für den Monat Mai 2012 für alle auf. Das von den Klägern angerufene Sozialgericht (SG) Berlin hob den Bescheid auf (Urteil vom 19. Dezember 2012 – S 55 AS 18011/12), weil Art. 4 VO (EG) 883/2004 jede Ungleichbehandlung von Unionsbürgern gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bei den hier vorliegenden besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen untersage und ein Wertungswiderspruch zu dem nur eingeschränkt möglichen Bezug von "Sozialhilfeleistungen" nach der FreizügigkeitsRL 2004/38/EG (insbesondere deren Art. 24 Abs. 2) nicht bestehe. Zudem verdränge das speziellere Gleichbehandlungsgebot nach Art. 1 EFA weiterhin die Ausschlussregelung, weil der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt nicht durch ein Gesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert bzw. wirksam gemacht worden sei. Auf die vom SG zugelassene und vom Jobcenter eingelegte Sprungrevision setzte das BSG das Revisionsverfahren aus zwecks Vorabentscheidung des EuGH zu der Frage, ob – ggf. in welchem Umfang – Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 der VO (EG) Nr. 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG möglich seien, nach denen der Zugang zu besonderen beitragsunabhängigen Leistungen ausnahmslos nicht bestehe, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers in dem anderen Mitgliedstaat allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Hierzu hat der EuGH mit Urteil vom 15. September 2015 (Rs C-67/14 „Alimanovic“) entschieden, dass Art. 24 RL 2004/38/EG und Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 dahin auszulegen seien, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstünden, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in der von Art. 14 Abs. 4 Buchst b RL 2004/38/EG erfassten Situation befänden, vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne von Art. 70 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 ausgeschlossen würden, während Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befänden, diese Leistungen erhielten. Mit anderen Worten: Der ausnahmslose Ausschluss von Unionsbürgern mit einem alleinigen Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche von Leistungen nach „Hartz IV“ ist europarechtskonform. Das Bundessozialgericht hat am 3. Dezember 2015 im Nachgang der Entscheidung des EuGH vom 15. September 2015 (Rs C-67/14 „Alimanovic“) die Ausgangsentscheidung des SG Berlin aufgehoben, die Sache dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen und zum Prüfungsumfang unter anderem ausgeführt, dass sich mit der Ausbildung und Integration der minderjährigen Kinder aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche der Mutter ergeben könne. In weiteren ebenfalls am 3. Dezember 2015 entschiedenen Verfahren von EU-Ausländern hat das BSG zudem betont, dass neben existenzsichernden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (Hartz IV) Leistungsansprüche auch nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (Sozialhilferecht) bestehen könnten. Nach Maßgabe dieser Vorentscheidungen hat der 28. Senat des LSG BerlinBrandenburg am 14. Dezember 2018 den Beteiligten einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, weil ein Aufenthaltsrecht der minderjährigen Kinder aufgrund des regelmäßigen Schulbesuchs und hiervon abgeleitet der Mutter in Ausübung ihrer elterlichen Sorge anzunehmen gewesen sei. Für die im Aufhebungsmonat volljährig gewordene Tochter hat sich die Rechtslage schwieriger dargestellt, da ein Schulbesuch nicht mehr stattfand und sie sich allein zur Arbeitsuche in Deutschland aufhielt. Eine prozessuale Verpflichtung des beigeladenen Sozialhilfeträgers kam aus prozessualen Gründen nicht in Betracht, weswegen diese Klägerin sich entschließen konnte, die Klage im Vergleichswege zurückzunehmen. Hinweis auf die Rechtslage: § 7 Abs. 1 SGB II (1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die … 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ausgenommen sind 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, …. § 23 SGB XII (1) 1Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. … 3 Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. … (3) Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Art. 1 EFA Jeder der Vertragschließenden verpflichtet sich, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge ("Fürsorge") zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Artikel 10 Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Die Mitgliedstaaten fördern die Bemühungen, durch die diesen Kindern ermöglicht werden soll, unter den besten Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen.

Für Rückfragen: RiLSG Axel Hutschenreuther, Pressesprecher, RiLSG Sebastian Pfistner, stellv. Pressesprecher, Tel.: 0331/9818-3300/4148/4133 -- Mail: pressestelle@lsg.brandenburg.de