Festbetrag für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Escitalopram vorläufig gekippt
- Erschienen am - PresemitteilungAm 17. Februar 2011 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss u. a. die Neubildung einer Festbetragsgruppe „Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, Gruppe 1“ der Stufe II nach § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V; „pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkung, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen“), bestehend aus den Wirkstoffen Citalopram und Escitalopram. Beide Wirkstoffe dienen primär der Behandlung der Depression. Sie gehören zur Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI).
Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen beschloss darauf aufbauend am 02. Mai 2011 für diese Festbetragsgruppe einen Festbetrag von 15,01 Euro. Der Beschluss wurde im Bundesanzeiger Nr. 71 vom 10. Mai 2011 bekannt gegeben.
Die Antragstellerin, die in Deutschland Arzneimittel mit dem Wirkstoff Escitalopram vertreibt, erhob hiergegen am 19. Mai 2011 Klage vor dem hiesigen Landessozialgericht (Aktenzeichen: L 1 KR 140/11 KL). Zusätzlich hat sie im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage beantragt, soweit darin ein Festbetrag für Escitalopram festgesetzt wird.
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2011, der den Beteiligten jetzt zugestellt worden ist, diesem Begehren vorläufigen Rechtsschutzes in vollem Umfang entsprochen. Es hat damit die Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Escitalopram vorläufig ausgesetzt.
Zur Begründung führte der zuständige 1. Senat aus, das Interesse der Antragstellerin überwiege das an sich von Gesetzes wegen vermutete Interesse am Sofortvollzug der Festbetragsfestsetzung. Denn es sei jedenfalls derzeit von deren Rechtswidrigkeit auszugehen. Der Beschluss des beigeladenen Gemeinsamen Bundesausschuss leide nämlich an Beurteilungsfehlern und scheide deshalb als rechtmäßige Grundlage der Festbetragsfestsetzung aus, auch wenn der Gemeinsame Bundesausschuss nach Korrektur der festgestellten Mängel im Rahmen seines Beurteilungsspielraumes möglicherweise zum selben Ergebnis (Bildung einer Festbetragsgruppe aus Escitalopram und Citalopram unter Festsetzung der gleichen Wirkstärkenvergleichsgröße) gelangen könne. Da dadurch der Wettbewerb zwischen den Arzneimittelherstellern verfälscht werde, verletze die Festbetragsfestsetzung die Antragstellerin in ihrem Teilhaberecht aus Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgebot) in Verbindung mit Art. 12 GG (Berufsfreiheit). Konkret zeigten sich Beurteilungsfehler des Beigeladenen im Zusammenhang mit seiner Bewertung, dem Wirkstoff Escitalopram eine therapeutische Verbesserung der Behandlung der Depression im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 SGB V abzusprechen. Die Begründung sei zumindest nicht nachvollziehbar, wie dies das SGB V in § 35 Abs. 1b S. 5 SGB V fordere. Auch sei die Annahme des Beigeladenen, der Wirkstoff Escitalopram dürfe zusammen mit dem Wirkstoff Citalopram in einer Festbetragsgruppe zusammengefasst werden, weil Therapiemöglichkeiten dadurch nicht eingeschränkt würden (§ 35 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 SGB V), aufgrund einer fehlerhafter Beurteilungsgrundlage ergangen.
Eine Beschwerde gegen diesen Eilbeschluss ist nicht möglich. Wann über die Klage selbst entschieden werden kann, steht noch nicht fest.
Aktenzeichen L 1 KR 184/11 ER
Der Volltext der Entscheidung ist abrufbar als Anlage zu dieser Pressemitteilung auf der Internetseite des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg http://www.lsg.berlin.brandenburg.de/pressemitteilungen
Info:
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ist für das vorläufige Rechtsschutzverfahren ebenso wie für die Klage erstinstanzlich zuständig aufgrund einer Spezialvorschrift im Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 29 Abs. 4 SGG.
Besonderer Hinweis:
Mittwoch den 21. Dezember 2011 um 10 Uhr wird der 7. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg mündlich verhandeln über die Klage von 43 deutschen Kliniken gegen den Gemeinsamen Bundesausschuss wegen der Festsetzung von Mindestmengen für die stationäre Behandlung von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm (siehe hierzu schon im Eilverfahren Pressemitteilung vom 26. Januar 2011).
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