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Klageflut: Präsidentin des Landessozialgerichts appelliert an Krankenkassen und Krankenhäuser

- Erschienen am 10.12.2018 - Presemitteilung 20181210

Mit großer Sorge beobachtet die Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, Sabine Schudoma, die jüngst über die Sozialgerichte Deutschlands und auch der Region Berlin/Brandenburg hereingebrochene Klagewelle. Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hat rund 65.000 neue Streitfälle vor den Sozialgerichten Berlins und Brandenburgs provoziert. Hintergrund: Am 9. November 2018 hat der Deutsche Bundestag das „PflegepersonalStärkungsgesetz“ beschlossen. Das Gesetz enthält auch Regelungen zu einer kürzeren, nunmehr zweijährigen Verjährung von Ansprüchen der Krankenhäuser auf Vergütung erbrachter Leistungen und von Ansprüchen der Krankenkassen auf Erstattung überzahlter Vergütungen. Eine gleichzeitig getroffene Übergangsregelung ist hochbrisant: Danach sind Krankenkassen gehalten, vor dem 1. Januar 2017 entstandene Ansprüche auf Rückzahlung von an Krankenhäuser geleisteten Vergütungen bis zum 9. November 2018 gerichtlich geltend zu machen, um den Eintritt von Verjährung zu vermeiden. Der Hintergrund dieser Rückzahlungsbegehren wiederum liegt überwiegend in neuerer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Krankenhausvergütung („Komplex-Pauschale“) für die Behandlung von Schlaganfallpatienten und für Geriatriebehandlungen. Unter anderem auf diesen beiden Feldern sehen die Krankenkassen Anlass für die teilweise Rückforderung von bereits entrichteten Zahlungen an Krankenhäuser. Einzelheiten sind zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern hoch umstritten und bedürfen im Einzelfall intensiver Aufklärung durch die Sozialgerichte. Im Zuge dieser Gesetzgebung ist an den Sozialgerichten aller Bundesländer bis einschließlich 9. November 2018 eine immense Steigerung der Verfahrenszahlen zu beobachten. Die Region Berlin-Brandenburg ist davon in besonderem Maße betroffen. Der Wert der von den Krankenkassen erhobenen Forderungen beträgt z.B. bei dem Sozialgericht Berlin insgesamt rund 81,5 Mio. Euro und bei dem Sozialgericht Potsdam rund 32 Mio. Euro. Für das Verständnis der folgenden Tabelle ist zu beachten: In einzelnen Klagen sind teilweise mehrere tausend einzelne Behandlungsfälle zusammengefasst; „Behandlungsfall“ meint die Behandlung eines einzelnen Krankenversicherten und die vom Krankenhaus dafür zu beanspruchende Vergütung. Regelmäßig hat ein Sozialgericht über jeden Behandlungsfall und die damit zusammenhängende Krankenhausvergütung einzeln zu entscheiden. Die Anzahl der Behandlungsfälle spiegelt also die wahre Anzahl der neu hinzugekommenen Streitigkeiten wider: Potsdam, 10. Dezember 2018 LSG Berlin-Brandenburg, Försterweg 2-6, 14482 Potsdam - 2 - Sozialgericht Anzahl der bis zum 9. November 2018 zur Unterbrechung der Verjährung erhobenen Klagen Anzahl der darin insgesamt enthaltenen Behandlungsfälle Zum Vergleich: Anzahl der im Jahre 2017 bei dem Gericht insgesamt (alle Bereichen der Sozialversicherung) eingegangenen Verfahren Berlin ca. 950 ca. 36.000 30.800 Potsdam ca. 230 ca. 12.400 4.869 Neuruppin ca. 200 ca. 6.000 3.789 Frankfurt (Oder) ca.150 ca. 5.800 4.196 Cottbus ca.170 ca. 4.400 4.793 Summe: ca. 1.700 Summe: ca. 64.600 Summe: 48.447 Die Anzahl der bei den Sozialgerichten innerhalb von nur wenigen Tagen anhängig gemachten Vergütungsstreitigkeiten entspricht danach der Anzahl der Verfahren, wie sie unter normalen Umständen innerhalb von etwa 15 Monaten in sämtlichen Bereichen der Sozialversicherung (z.B. Renten-, Unfall- und Krankenversicherung sowie Grundsicherung für Arbeitsuchende, „Hartz IV“) an die Sozialgerichte herangetragen werden. Anders formuliert: Die Sozialgerichte Berlins und Brandenburgs müssten für 15 Monate schließen, um den Klageberg abzuarbeiten, den das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz in nur wenigen Tagen bewirkt hat. Allein die Registrierung und Erfassung der neuen Verfahren hat Arbeitskraft bereits in nennenswertem Umfang gebunden. Sollte über die Klagen streitig entschieden werden müssen, so wäre dies eine Herausforderung, die die vergangene und aktuelle Belastung durch Hartz IV-Verfahren bei Weitem übersteigen, die derzeit vorhandenen personellen Kapazitäten im richterlichen wie im nichtrichterlichen Bereich sprengen und die effektive Arbeit der Sozialgerichte gravierend beeinträchtigen würde. Die Präsidentin des Landessozialgerichts begrüßt daher die am 6. Dezember 2018 zustande gekommene „Gemeinsame Empfehlung“ der Krankenkassenverbände und der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/S/Stroke_Uni t/Gemeinsame_Erklaerung_Versorgung_Schlaganfall___Geriatrie.pdf

Danach bemühen sich die Konfliktparteien um eine außergerichtliche Beilegung der Vergütungsstreitigkeiten. Sabine Schudoma: „Die Funktionsfähigkeit der Sozialgerichte steht auf dem Spiel. Ich rufe Krankenkassen und Krankenhäuser dringend dazu auf, weiter aufeinander zuzugehen und sämtliche Möglichkeiten der außergerichtlichen Konfliktbeilegung auszuschöpfen. Andernfalls drohen in der Folge des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes erhebliche Nachteile für alle rechtsschutzsuchenden Bürgerinnen und Bürger.“