Für das Sozialgericht Cottbus war das Jahr 2020 ein bewegtes Jahr
- Erschienen am - PresemitteilungFür das Sozialgericht Cottbus war das Jahr 2020 ein bewegtes Jahr. Neu waren die durch das Coronavirus verursachten Beeinträchtigungen. Vor allem im Frühjahr und ab November 2020 war der Sitzungsbetrieb erheblich eingeschränkt. Ungeachtet dessen fand ein weitgehend normaler Geschäftsbetrieb statt. Dafür ist an dieser Stelle den Beschäftigten des richterlichen und des nichtrichterlichen Dienstes in besonderem Maße zu danken.
Zu diesen Beeinträchtigungen kamen personelle Veränderungen hinzu. Zwei Abordnungen und einer Versetzung in den Ruhestand im richterlichen Dienst steht der Dienstantritt einer Proberichterin im Juli 2020 gegenüber. Sehr erfreulich war, dass Ende des Jahres zwei Proberichter zu Richtern auf Lebenszeit am Sozialgericht Cottbus ernannt werden konnten. Mit den Kostenrichtern standen Ende 2020 damit rechnerisch wieder 20,75 Richterstellen für die Bearbeitung der Gerichtsverfahren zur Verfügung. Eine Urkundsbeamtin verstärkte im Juli den gehobenen Dienst. Sie ist für ein Jahr abgeordnet. Drei neue Geschäftsstellenmitarbeiterinnen sind im Laufe des Jahres hinzu gekommen, zwei davon befristet. Eine weitere Geschäftsstellenmitarbeiterin übernahm für ein halbes Jahr eine Mutterschaftsvertretung und unterstützte das Gericht im nichtrichterlichen Dienst. Insgesamt sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des nichtrichterlichen Dienstes haben das Sozialgericht verlassen, davon ein Urkundsbeamter. Sie sind in den Ruhestand getreten, haben sich räumlich oder beruflich verändert. Wir danken allen für ihre Arbeit am Sozialgericht und wünschen alles Gute für den neuen Lebensabschnitt.
Die Einschränkungen und Veränderungen blieben nicht ohne Auswirkung auf die Rechtspflege. 5.523 Hauptsacheverfahren und rund 800 sonstige Verfahren wurden 2020 am Sozialgericht Cottbus erledigt. Der Rückgang der Erledigungszahlen im Vergleich zum Jahr 2019 dürfte vor allem pandemiebedingt sein. Verhandlungen mussten verlegt, Gutachten konnten nur eingeschränkt oder verzögert erstellt werden. Ohne Gutachten und ohne Verhandlung lassen sich viele sozialrechtliche Streitigkeiten nicht erledigen. Nur ein Teil der Klagen eignet sich für eine Erledigung im schriftlichen Verfahren. Positiv war, dass viele alte Verfahren erledigt werden konnten. Zum 31. Dezember 2020 waren 923 Hauptsacheverfahren aus den Jahren 2017 und davor (Aktenzeichen aus 2017 und älter) anhängig. Ein Jahr zuvor, zum 31. Dezember 2019, waren noch 1.202 Hauptsacheverfahren anhängig, die zum Stichtag älter als drei Jahre waren (Aktenzeichen aus 2016 und älter). Vor allem konnte ein Drittel der Altverfahren zu existenzsichernden Leistungen, der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch („Hartz IV“) und Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch, abgebaut werden. Von den Ende 2019 anhängigen 760 Altverfahren waren Ende Dezember 2020 noch 171 anhängig. Hinzu kamen 288 noch anhänge Verfahren aus 2017, die nun auch zu den Altverfahren zählen.
Dieser Abbau von Altverfahren hat viele Gründe. Das Gericht hat 2020 eine Altfallkammer für Angelegenheiten nach dem SGB II eingerichtet. Dort wurden alle Verfahren zusammengefasst, die vor dem 1. Januar 2015 eingegangen waren. Aber auch die Neustrukturierung der Kostenkammern und andere organisatorische Maßnahmen haben dazu beigetragen. Ohne die pandemiebedingten Verzögerungen bei Ermittlung und Terminierung der Verfahren wären jetzt sicher noch weniger Altverfahren anhängig.
Außerdem sind 2020 weniger Verfahren eingegangen. Die Belastung durch Neueingänge hat sich weiter normalisiert. 3.390 Verfahren sind 2020 neu registriert worden, gegenüber 3.633 Verfahren im Jahr davor. Nach der Klagewelle in den Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den Jahren 2011 bis 2014 und der durch eine Verkürzung der Verjährungsfristen verursachten Klagewelle bei den Krankenhausstreitigkeiten im Jahr 2018 war 2020 im Wesentlichen der übliche Verfahrensanfall zu verzeichnen. Das gibt dem Gericht die Möglichkeit, die Bestände (die anhängigen Verfahren) abzubauen und die Verfahrenslaufzeiten zu verkürzen. So waren unter dem Strich Ende 2020 erheblich weniger Verfahren anhängig, als vor Jahresfrist. Zum Stichtag 31. Dezember 2020 waren noch 6.433 Hauptsacheverfahrenoffen. Das sind insgesamt 2.596 Verfahren weniger als zum 31. Dezember 2019. Hinzu kommen rund 4.500 anhängige sonstige Verfahren (vor allem Kostenverfahren). Das ist der geringste Jahresanfangsbestand seit 2010 und zeigt eine sehr erfreuliche Entwicklung.
Der inhaltliche Fokus liegt weiterhin auf den Streitigkeiten um existenzsichernde Leistungen. Sie bilden nach wie vor den Schwerpunkt der Arbeit. Über ein Drittel des Bestandes (2.366 Verfahren) betrifft dieses Rechtsgebiet. Bei den Eingängen entfällt fast die Hälfte (1.438) auf derartige Verfahren.
Die rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen sind in allen Rechtsgebieten weit gestreut. Die zahlreichen Rechtsänderungen führten nicht zu vielen ähnlich gelagerten Verfahren. Verfahren mit erkennbarem Bezug zu Corona gibt es bislang nur im einstweiligen Rechtsschutz. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende wurde von den Job Centern offenbar antizipiert. Auch sie hat nicht zu signifikant mehr Verfahren geführt. Gleichwohl gibt es eine ganze Reihe erwähnenswerter Entscheidungen.
Immer wieder streitig ist nach einer Betriebsprüfung die Arbeitnehmerstellung und damit die Sozialversicherungspflicht des Geschäftsführers. Die 5. Kammer des Sozialgerichts Cottbus hat entschieden, das der Geschäftsführer auch dann Arbeitnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sein kann, wenn zwischen ihm und der GmbH kein direktes Vertragsverhältnis besteht. Im entschiedenen Fall hatte die GmbH geklagt und der Geschäftsführer war beigeladen. Der Beigeladene war bis Ende 2014 Geschäftsführer der GmbH. Seither ist er Unternehmer einer Unternehmergesellschaft (UG). Die GmbH schloss mit der UG einen Geschäftsführervertrag auf Honorarbasis.
Auch darin ist ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zwischen dem Beigeladenen und der GmbH zu sehen. Maßgeblich ist § 6 GmbHG. Danach dürfen ausschließlich natürliche Personen Geschäftsführer einer GmbH sein. Die UG ist keine natürliche, sondern eine juristische Person. Eine wirksame Geschäftsführerbestellung der UG ist unmöglich. Es ist rechtlich auch nicht möglich, einen Geschäftsführungsvertrag mit der UG zu schließen, die tatsächliche Geschäftsführung aber an eine natürliche Person zu übertragen. Diese Konstellation stellt entweder ein von Anfang an unwirksames, weil gegen gesetzliche Verbote verstoßendes Geschäft oder eine unwirksame Umgehung der Vorschrift des § 6 GmbHG dar. Eine konkrete Festlegung insoweit ist entbehrlich, denn für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht ergeben sich keine Unterschiede. Eine GmbH kann freilich einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag mit einer UG schließen, mit der Folge der Versicherungsfreiheit des Arbeitnehmers (so LSG Baden-Württemberg – L 11 R 3853/16), dies kann aber wegen § 6 GmbHG nicht für einen Geschäftsführer gelten (Gerichtsbescheid vom 17. Oktober 2020 – S 5 BA 22/18; Berufungsverfahren beim Landessozialgericht BerlinBrandenburg unter L 1 BA 75/20 anhängig).
Im Bereich der Pflegeversicherung machen private Versicherungsunternehmen beim Sozialgericht Beitragsansprüche gegen Versicherte geltend. Diese Beitragsansprüche enden nicht automatisch, wenn der Versicherte Mitglied der sozialen Pflegeversicherung wird. Der Versicherte hat nämlich keinen Anspruch auf Aufhebung der zuvor mit einem privaten Unternehmen abgeschlossenen privaten Pflegeversicherung. Er muss diese kündigen. § 79 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz, der dem Versicherungsnehmer ein solches Recht auf Vertragsaufhebung gibt, ist auf Pflegeversicherungen nicht anwendbar, weil die Pflegeversicherung den Versicherungsschutz nicht nach den Grundsätzen der Schadensversicherung gewährt. Sie ist eine Personenversicherung. Die versicherte Gefahr liegt unmittelbar in einer Person und die Leistungen – etwa das Pflegegeld – gehen weit über den Ersatz des reinen Vermögensschadens hinaus (Gerichtsbescheid vom 31. Januar 2020 – S 16 P 21/19, Berufungsverfahren beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter L 30 P 19/20 anhängig).
Ein als Arbeitsvermittler tätiger Elternteil kann einen Vergütungsanspruch gegen das Job Center haben, wenn er sein Kind in Arbeit vermittelt. Ein Arbeitsvermittler hat grundsätzlich auch dann Anspruch auf die Vergütung aus einem Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein, wenn der vermittelte Arbeitnehmer direkt mit ihm verwandt ist. Bestehen zwischen Beiden persönliche Beziehungen, schließt dies allein den Vergütungsanspruch nicht aus. Der Ausschluss ist auf die Fälle zu beschränken, in denen wirtschaftliche Gründe die Interessenkollision bedingen. Fälle, in denen – mehr oder weniger deutlich institutionalisiert – der Arbeitsvermittler am Gewinn des Arbeitgebers beteiligt ist oder von der Vermittlung des Arbeitnehmers über den Vergütungsanspruch hinaus wirtschaftlich profitiert. Eine solche den Vergütungsanspruch ausschließende Verflechtung ist gegeben, wenn das Zustandekommen des Hauptvertrages nicht allein von einer übereinstimmenden Willensbildung der Parteien dieses Vertrages, sondern (auch) von einer Entscheidung des Vermittlers abhängig ist. Dabei ist nicht auf die formelle Gestaltung, sondern auf die zugrundeliegenden wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur selbständigen, unabhängigen Willensbildung haben (Urteil vom 3. März 2020 – S 2 AS 3460/15, rechtskräftig).
Für Nachfragen:
Richter am Sozialgericht Sebastian Clausnitzer Tel.: 0331/4991 3324 E-Mail: sebastian.clausnitzer@sgc.brandenburg.de